Verena Lueken: Alte Frauen

321 Seiten, 24,99 €, Ullstein

 Das muss man sich erst mal trauen: Diesen Titel in Zeiten, in denen den Alte verschämt als „Best Ager“ bezeichnet werden. In denen es für ältere Frauen abgesehen von der freundliche Oma kaum positive Rollenvorbilder gibt und in denen sie aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwinden. Aber dieser kühne Titel ist durchaus richtig, er signalisiert Selbstbewusstsein. Die zwölf Frauen, die Verena Lueken beschreibt, sind alt, doch keineswegs resigniert. Sie sind Schriftstellerin, Malerin, Filmemacherin, Textilkünstlerin, Tänzerin und Choreografin, manche berühmt, andere weniger bekannt: Jane Campbell, Carmen Herrera, Jeanine Meerapfel, Daniel - ein queerer Freund, Lucinda Childs, Gioconda Segantini, Katherine Sehnert, Vivian Gornick, Ulrike Edschmid, Isabella Ducrot, Ulrike Ottinger, Ellen Brodkey. Sie erzählen der Autorin von ihrem Leben, zeigen ihre Werke, beantworten persönliche Fragen. Keine der Interviewpartnerinnen ist scheu, verbittert, fordert übertrieben Aufmerksamkeit oder was man sonst älteren Frauen unterstellen mag. Ihr Alter ist für sie kein Thema, sie gehen ganz in ihrer Tätigkeit auf.

In Verena Lueken haben sie eine kongeniale Gesprächspartnerin. Die Journalistin prägte über viele Jahre das Feuilleton der Frankfurter Allgemeine Zeitung mit Beiträgen zu Film, Literatur und feministische Themen - was sie dann auch zu ihren Gesprächspartnerinnen führte.  Dass die Interviews so inspirierend und informativ sind, ist zu einem großen Teil ihr zu verdanken. Sie versteht es, Lebensgeschichte mit Werkschau und sensibler Wahrnehmung interessant zu verknüpfen. So gut, dass ich, davon angeregt, teilweise neben dem Lesen mit dem Smartphone in der Hand ihr Gegenüber gegoogelt und mir auf YouTube etwa eine Performance der Tänzerin Lucinda Child angesehen habe. Schön ist auch, dass es jeweils ein Porträt der Frauen gibt und – wo möglich - auch ein Foto von ihrem Werk. So kann man sich im wahrsten Sinne des Wortes ein von denjenigen Bild machen.

Natürlich lässt sich zu ihrer Auswahl einwenden, was Lueken über die literarischen Protagonisten der Schriftstellerin Jane Campbell sagt: „Sie alle haben das Glück, nicht arm zu sein, nicht dement, sozial in keiner prekären Lage.“ Stimmt, aber dies ist keine soziologische Abhandlung und auch kein Ratgeber für Betroffene. Es ist eine Inspiration.

Ein großartig geschriebenes Buch, das ich sowohl jungen als auch alten(!) Leserinnen sehr empfehlen kann Es macht Mut zur Freiheit jenseits eines Klischees und bietet ein großes Lesevergnügen.