Haruki Murakami: Die Stadt und ihre ungewisse Mauer (Roman)

Übersetzung Ursula Gräfe

 

640 Seiten, 34.- €, DuMont

 

Ein traumhaftes Buch, im wahrsten Sinne des Wortes. Der japanische Autor Haruki Murakami ist ein Meister des magischen Realismus. Auch in diesem Roman verwebt er die alltägliche Welt mit surrealen Elementen und lässt die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fantasie verschwimmen. 

 

Den 17jährigen Ich-Erzähler und seine 16jährige Freundin verbindet eine zarte Liebe, sie schreiben sich Briefe und entwerfen in ihrer Vorstellung eine Stadt, die sie immer detaillierter ausschmücken. Dort gibt es einen Torwächter, Einhörner und eine Bibliothek, in der alte Träume gehortet werden. Hinein kommt man nur, wenn man seinen Schatten abgibt, der dann in der wahren Welt weiterlebt. Das Mädchen verspricht dem Ich-Erzähler, dass es eines Tages ganz ihm gehören wird, doch dann verschwindet es spurlos. Der Erzähler ist von dem Verlust seiner großen Liebe so verwundet, dass er noch als Erwachsener unfähig ist, eine tiefe Bindung einzugehen. Um seine Jugendliebe wiederzufinden, betritt er in Gedanken die geheimnisvolle Stadt. Tatsächlich trifft er das Mädchen in einer Traum-Bibliothek wieder, aber sie erinnert sich nicht mehr an ihn. Er kehrt zurück in die Wirklichkeit und arbeitet bei einem Verlag in Tokio. Mit Mitte vierzig zieht er sich in ein japanisches Provinznest zurück und beginnt dort die Arbeit in einer Bibliothek. Doch dann verwandelt sich das reale Gebäude mehr und mehr in einen Fantasieort. Der Protagonist begegnet einem Geist, der ein Mentor für ihn wird und einem autistischen Jungen, mit dem er noch einmal die Stadt der schattenlosen Menschen besucht. In der Realität lernt er eine Frau kennen, die ihn zwar die erste Liebe nicht vergessen lässt, aber dennoch seine Gefühle weckt.

 

Murakami schreibt in einem ruhigen, klaren Stil. Wobei an dieser Stelle der Übersetzerin Ursula Gräfe zu danken ist, die die Sprache des Autors offenbar kongenial übertragen hat. Die Magie entsteht durch die zeitliche und räumliche Unschärfe, in der Vergangenheit mit Gegenwart und Realität mit Fantasie verwoben wird. Wenn man sich darauf einlässt, zieht das Buch einen in seinen tranceartigen Bann. Ich konnte es von daher immer nur abends lesen. Als Murakami-Fan – ich habe 7 Bücher von ihm – ist meine Empfehlung sicher subjektiv. Aber wer eine melancholische, zauber- und rätselhafte Geschichte zu schätzen weiß, wird damit glücklich sein.