Dirk Stermann. Mir geht´s gut, wenn nicht heute, dann morgen

256 Seiten, 24.- €, Rowohlt

 

Aufmerksam wurde ich auf das Buch durch die Sendung „Kulturzeit“ auf 3Sat. Die Stichworte „Berühmte jüdische Psychoanalytikerin“, „New York“, 95 Jahre alt“ versprachen Interessantes. Zum Inhalt: Der 55jährige Kabarettist und Fernsehmoderator Dirk Stermann („Willkommen Österreich“) hat sich über längere Zeit regelmäßig mit Erika Freeman im Hotel Imperial getroffen. Sie stammt ursprünglich aus Wien, flüchtete aber schon als Kind in die USA und wurde später als die Analytikerin der Hollywoodstars bekannt. In ihre Geburtsstadt kam sie wegen eines Zeitzeugenvortrags, musste dann aber auf Grund der Corona-Pandemie länger als geplant bleiben. So wurde das Zimmer im prächtigen Hotel Imperial ihr Zuhause auf Zeit. Dort traf Stermann sie jeden Mittwoch zu Kaffee und Kipferl. In den Begegnungen erzählt Erika von ihrer Familie, den Erlebnissen während der Nazizeit, von Israel als Traum und berühmten Zeitgenossen, mit denen sie befreundet war. Stermann bringt sich auch ins Spiel. Er kokettiert mit Running Gags, zum Beispiel dass sie ihm ständig die Goodies aus dem Badezimmer des Hotels schenkt. Zwischen den Gesprächspartnern herrscht ein freundschaftliches Einvernehmen. Offenbar erinnert Stermann die alte Dame positiv an ihren verstorbenen Mann. Er wiederum genießt ihren Witz und ihre Lebenserfahrung.

 

Der Spiegel würdigte Stermanns Schreibstil in einem Artikel so: „Ein Buch, so lässig wie die Stadt Wien und so lebensklug wie Freeman selbst.“ Genau diese Lässigkeit lässt mich ambivalent zurück. So viel Kipferl, so viel Charme, so viel jüdischer Witz. Zwischendurch erfährt man in kurzen Beschreibungen das unglaubliche Leid, das diese Frau erlebt hat und die Stärke, mit der sie sich nach oben gekämpft hat. Die Kombination von Ernst und Heiterkeit ist zweifellos unterhaltsam, aber sie kommt aus der Oberflächlichkeit: nicht heraus: Ein Interviewer, der nicht tiefer fragt und eine Interviewpartnerin, die sich nicht in die Karten schauen lässt - gewiss zu Recht, aus Selbstschutz. Das Buch ist auf jeden Fall lesenswert, aber die besondere Persönlichkeit Erika Freedman hätte für mein Gefühl noch mehr zu sagen gehabt als sich in einem Frühstückstalk ergibt.